18.9.08

Petersilia, Konstruktiva, Abstrakta, Maizena, Mariechen, Amerika und Rosina Sultanina

Wer das Wort Bauhaus hört, denkt bestimmt nicht als erstes ans Essen oder das Thema Gesundheit. Deshalb gibt es jetzt auch von Ute Ackermann das Büchlein „Das Bauhaus isst“. Warum ein Buch über das Essen am Bauhaus? Die Bauhaus-Philosophie hatte ein ganzheitliches Menschenbild vor Auge. Daher beschäftigten sich Schüler wie Meister auf unterschiedliche Weise mit dem Thema.
Um 1920 war ein Großteil der Studierenden am Bauhaus alles andere als gesund, denn es herrschte Hunger und Not allenthalben. Um diesem Problem entgegenzuwirken – schließlich ist Kreativität mit knurrendem Magen nur schwerlich möglich – kümmerte sich Bauhausleiter Walter Gropius persönlich um das Problem. Er überredete Sponsoren, regelmäßige Mahlzeiten für die Studenten zu finanzierten. Dazu wurden im Haus gestaltete Essensmarken eingeführt. Außerdem züchteten die Bauhäusler im eigenen Garten Gemüse. Wie schon die Reformpädagogen, die Vegetarier, die Jugend- und Siedlungsbewegung suchten sie dabei das authentische Leben – als Gegenpol zur zunehmenden Technisierung – sowie den Typus des „neuen Menschen“. Dieser sollte sich seinem Körper und der gesunden Nahrungsaufnahme bewusst werden.
Dazu brauchte man natürlich auch entsprechende Gebäude und Gerätschaften. Deshalb entstand mit dem Weimarer „Haus am Horn“ ein Typenbau, der der Gestaltung der Küche eine herausragende Rolle zuwies. Ausgestattet mit modernster Haustechnik diente das „Haus am Horn“ auch der Entlastung der Frau von traditioneller Hausarbeit. Die Küche konzipierten Benita Koch-Otte und Ernst Gebhardt als reinen Arbeitsraum und nicht wie damals üblich als Wohnküche. Dazu entwarfen ihre Kollegen passendes Geschirr und Vorratsbehälter.
Wie zu Hause konnten sich Studenten und Meister auch im Restaurant „Kornhaus“ fühlen: Die gesamte Einrichtung vom Teppich bis zum Türgriff stammte vom "Bauhaus", und es gab auch vegetarische Gerichte auf der Speisekarte. Das war wichtig, weil viele Bauhäusler Vegetarier, bzw. Anhänger des Mazdaznan waren.
Mazdaznan war eine psychobiologisch-spirituelle Reform und Variante des Vegetarismus. Dazu gehörten nicht nur eine strenge Diät, sondern auch das Singen von bestimmten Liedern und ein Erkennungspfiff. Der Weg zur Selbsterlösung sollte durch eine innerliche und äußerliche Lebensform erreicht werden. Kahlgeschoren und in Bauhaustracht gingen Mazdaznan-Anhänger wie Itten ihren Pflichten nach - und zwar nicht ohne jeden Gedanken zu reflektieren, richtig zu atmen und zu essen. Damit das auch klappte, gab es das Mazdaznan-Kochbuch mit Rezepten für Nerven-Brot, Graupen-Wurst oder Isländisch-Moos-Pudding. Diese Sachen sollte nicht nur lecker sein, sondern zugleich den Körper reinigen und verfeinern. Fastenkuren und zu wenig nahrhaftes Essen führten jedoch dazu, dass Unterernährung, Magen- und Darmkatarrhe und sogar Ohnmachten und Schwächeanfälle bei den Mazdaznan-Anhängern an der Tagesordnung waren. Zum Glück beherrschte Meister Itten die Techniken der Wiederbelebung.
Wenn man das liest, erleichtert die Nachricht, dass die Bauhäusler auch richtig feiern konnten! Studenten und Bauhaus-Meister waren sogar für ihre ausschweifenden Feste bekannt und wurden auch deshalb misstrauisch vom Kleinbürgertum beäugt. Ging man zu einer Party, brachte man ein Geschenk mit, wobei essbare Präsente am besten ankamen. Da verwundert es nicht, dass Oskar Schlemmer zur Bauhausweihnacht 1922 nach der Geburt seiner zweiten Tochter noch weitere Töchter geschenkt bekam: Petersilia, Konstruktiva, Abstrakta, Maizena, Mariechen, Amerika und Rosina Sultanina waren allerdings nicht aus Fleisch und Blut, sondern allesamt aus Teig gebacken.

Ute Ackermann: „Das Bauhaus isst“, E. A. Seemann-Verlag, Leipzig 2008.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen